Baden (energate) - Der Füllstand der Wasserspeicher in der Schweiz bewegt sich am unteren Ende der Bandbreite. Das könnte Konsequenzen für die Energieversorgung im Winter haben, wie Andreas Stettler, Geschäftsführer des Schweizerischen Wasserwirtschaftsverbands (SWV), im Gespräch mit energate erklärt.
energate: Andreas Stettler, der Speicherfüllstand der Schweizer Wasserreservoirs und Pumpspeicherkraftwerke war Anfang August in allen Regionen tiefer als im Vorjahr. Während er insgesamt um etwa zehn Prozent zurückging, war er im Tessin nur etwa halb so hoch. Welche Faktoren haben dazu geführt?
Stettler: Wenn man die Grafik des Bundesamts für Energie (BFE) betrachtet, dann war der Inhalt der Schweizer Speicherseen bis etwa zur Jahresmitte und im Vergleich mit den letzten neun Jahren durchschnittlich. Dann flachte die Kurve allerdings plötzlich ab. Sie ist immer noch innerhalb der Bandbreite, allerdings im unteren Bereich. Das deutet darauf hin, dass der heisse und trockene Sommer in Verbindung mit der relativ dünnen Schneedecke im vergangenen Winter seine Spuren hinterlässt. Die deutliche Abnahme im Tessin könnte topografisch bedingt sein, da dort das Schmelzwasser von Gletschern praktisch keine Rolle spielt, anders als etwa im Wallis.
energate: Wie stehen die Vorzeichen für den weiteren Jahresverlauf?
Stettler: Wie erwähnt ist der Speicherfüllstand tief, aber noch innerhalb der Bandbreite der letzten Jahre. Für den weiteren Verlauf wird das Wetter im Herbst entscheidend sein. Man kann durchaus davon ausgehen, dass der Wert am unteren Ende der Bandbreite bleibt, muss aber auch damit rechnen, dass er darunterfällt.
energate: Wie wichtig ist der Füllstand der Wasserspeicher für das gesamte Energiesystem?
Stettler: Isoliert betrachtet, machen die Wasserspeicher in der Schweiz insgesamt rund 9 Mrd. kWh aus. An sich wäre es noch nicht gravierend, wenn der Füllstand zehn Prozent unter der Bandbreite liegt. Für den kommenden Winter greifen jedoch sehr viele Faktoren ineinander. Für mich zeigen sich jetzt Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Energieträgern, die aus Sicht der Wasserkraft in dieser Dimension neu sind. Dass der tiefe Pegel des Rheins beispielsweise nebst der starken Nachfrage nach Öl dessen Preis so stark beeinflusst, ist ungewöhnlich. Der Füllstand der Wasserspeicher am unteren Ende der Bandbreite wiederum fällt zusammen mit dem Füllstand der Gasspeicher in Europa. In dieser Situation ist der Rückgang der Speichermenge an Wasser ungünstig, obwohl er bisher vergleichsweise gering ausfällt.
energate: Welche Konsequenzen hat der Füllstand für die vom Bundesrat vorgesehene Wasserkraftreserve, die ab 1. Oktober umgesetzt wird?
Stettler: Die erste Auktion für entsprechende Reservekapazitäten soll diesen Herbst stattfinden. In dieser können die Betreiber von Speicherseen gewisse Kapazitäten an den Bund abgeben. Wenn der Füllstand jetzt schon so tief ist, stellt sich für mich allerdings die Frage, ob die Versorger überhaupt genügend Kapazitäten haben werden, um einen Teil davon dem Bund zur Verfügung zu stellen. Sie müssen schliesslich ihre anderweitigen Lieferverträge erfüllen. Deshalb bin ich skeptisch, ob das System des Bundesrats für den kommenden Winter wie geplant zum Tragen kommt. Die Ausgangslage dafür wäre sicher besser, wenn die Füllstände über der Bandbreite liegen würden. /yb